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Hauptstadt-Besuch: Berlin ist nicht Papst!

Berlin ist frei, offen, kreativ – und weltlich. Der Aufruf zur Teilnahme an der Anti-Papst-Kundgebung vor dem Brandenburger Tor ist kein Akt religiöser Intoleranz, sondern das genaue Gegenteil.

Grüß Gott“, rief mein Pfälzer Kollege freundlich zur Schulsekretärin bei unserem Amtsantritt als Lehrer. „Jrüßen se ihn zurück – wenn se ihn sehn“, schallte es uns energisch und mit betont sarkastischem Unterton entgegen. Das war 1980 an einer Gesamtschule in Neukölln (ehemals West-Berlin) und zeigt, wie Berlin tickt. Es ist die „Hauptstadt des Atheismus“, wie ein amerikanischer Journalist schrieb. Aber das wäre zu kurz gegriffen. Ob Kaiser oder NS-Katastrophe, ob Stalinismus im Osten oder militanter Antikommunismus im Westen – nichts konnte der freigeistigen, linksliberalen und weltoffenen, wenn auch bisweilen gewöhnungsbedürftig-ruppigen, Grundschwingung dieser Stadt etwas anhaben. Im Gegenteil: Gerade nach der Wende 1989/90 avancierte Berlin zu einer Zukunftswerkstatt des 21. Jahrhunderts: frei, offen, kreativ – und eben weltlich. Bei zwei Drittel Konfessionsfreien und gerade mal 50 000 Katholiken mehr als die 250 000 Muslime dürfte daher die Mehrzahl der Berlinerinnen und Berliner die Nachricht von der Ernennung eines neuen katholischen Oberhirten kaum tangieren. Wenn nicht dieser Erzbischof für genau jene Strömung des Katholizismus stünde, die freilich auch der Papst bei seinem Berlin-Besuch repräsentiert: Frauen- und sexualfeindlich, um eine Einladung an die reaktionäre Pius-Brüderschaft bemüht, gegen ökumenische Basisbewegungen „Wir sind Kirche“ oder „Kirche von unten“ kämpfend und gegen konkurrierende Weltanschauungen, Religionen und Kirchen aggressiv und ausgrenzend.

Der Anachronismus römischer Dogmen – und damit zugleich die Zerrissenheit der katholischen Kirche selbst – wird durch dieses Doppelereignis nur allzu deutlich: Da werden demnächst ein angeblich Opus-Dei-naher Erzbischof und ein ebenso erzkonservativer Papst genau jenem Regierenden Bürgermeister ihre Aufwartung machen müssen, der als bekennender Schwuler – und Katholik – diese Stadt seit Jahren in einer Koalition mit der aus dem SED-Erbe stammenden Linkspartei regiert.

Die Erosion der Kirchen in Folge der anhaltenden Säkularisierung der Gesellschaft ist in Berlin auch nicht durch christliche Zuzügler aus dem Rheinland, Württemberg oder Polen wettzumachen. So mag sich manch engagierte Kirchengemeinde in Prenzlauer Berg verjüngen – die Zukunft der organisierten Christenheit zeigt sich in der kalten Statistik: Waren 2009 circa 29 Prozent der Berliner Bevölkerung noch Mitglied einer Kirche, so lag der Anteil der unter 25-Jährigen bereits damals bei unter 19 Prozent. Und die ernüchternde Niederlage des Volksbegehrens „Pro Reli“ hallt noch immer nach.

Auf der anderen Seite übersteigen die Jugendfeierzahlen des Humanistischen Verband Deutschland seit Jahren bereits die der Teilnehmer an Konfirmation und Kommunion um ein Vielfaches, wobei es zunehmend zu einer Durchmischung alter Milieus kommt. Das zeigt sich insbesondere beim humanistischen Lebenskundeunterricht. Hier kommt mittlerweile ein gutes Drittel der Schülerinnen und Schüler aus dem alten Westteil. Laut einer Forsa-Umfrage bekennen sich über 50 Prozent der Berliner explizit zu den Werten eines weltlichen Humanismus. Insofern wäre es auch an der Tagesordnung, das gesamte System der Finanzierung der Kirchen und Weltanschauungsverbände neu zu ordnen, wobei als neues Kriterium die gesellschaftliche Akzeptanz hinzukommen müsste.

Der Aufruf zur Teilnahme an der Anti-Papst-Kundgebung vor dem Brandenburger Tor ist daher kein Akt religiöser Intoleranz, sondern das genaue Gegenteil: Diese Demo steht für kulturelle und weltanschauliche Vielfalt und Toleranz – und gegen jede Form von Fremdbestimmung, sei sie ideologisch oder religiös motiviert.

Der Autor ist Berliner Landesvorsitzender des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD).

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